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Pragmatismus im Prozess-Management: Warum die vollständige BPMN-Dokumentation oft eine Kostenfalle ist

  • Jörg Kunze
  • 3. Nov.
  • 2 Min. Lesezeit

Das Dilemma der Prozessanalyse: Anspruch versus Wirtschaftlichkeit


Die Prozessanalyse ist das Fundament jeder Optimierung. Traditionell wird hierbei oft auf den Standard BPMN 2.0 (Business Process Model and Notation) zurückgegriffen. Dieser Standard erlaubt eine detaillierte und vollständige Beschreibung des Prozessinnenlebens – unverzichtbar für die Optimierung von Prozessen, die einen gewissen Komplexitätsgrad überschreiten.

Doch genau an dieser Stelle entsteht das zentrale Dilemma für viele Organisationen: der hohe Aufwand für die vollständige Dokumentation aller Unternehmensprozesse mittels BPMN-Diagrammen.

Meine These als Berater ist klar: Die enormen Kosten und der Zeitaufwand für eine vollständige, unternehmensweite BPMN-Dokumentation werden in den meisten Fällen niemals durch die daraus resultierenden Einsparungen oder Umsatzsteigerungen amortisiert.


Die Nachteile des „Alles-oder-Nichts“-Ansatzes


Neben den offensichtlichen Kosten bringt der traditionelle, umfassende Ansatz zwei weitere gravierende Nachteile mit sich:


1. Die Gefahr der Veralterung (Vereiterung)


Die Prozesse eines Unternehmens sind keine statischen Gebilde. Sie verändern sich ständig – sei es durch informelle Traditionen im Arbeitsalltag oder durch formalisierte Continuous Improvement Prozesse (CIP) im Sinne des Deming-Kreises (Plan-Do-Check-Act).

Der hohe Zeitbedarf für die Erstellung detaillierter Diagramme führt dazu, dass die Dokumentation bereits veraltet ist, bevor das Optimierungsprojekt überhaupt beginnt. Die Verlässlichkeit der Diagramme schwindet, und sie können im Rahmen einer Prozess-Performance-Optimierung nicht mehr herangezogen werden, da ihre Gültigkeit infrage steht.


2. Fokus auf Komplexität statt Relevanz


Die detaillierte Modellierung von einfachen oder marginal wichtigen Prozessen bindet Ressourcen, die an anderer Stelle dringend für kritische Prozesse benötigt würden. Es entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Aufwand und Wertbeitrag.


Mein Lösungsansatz: Die Hybrid-Strategie (Horizontal und Vertikal)


Um die notwendige Übersicht mit einem wirtschaftlichen Aufwand zu verbinden, plädiere ich für einen kombinierten horizontal-vertikalen Ansatz:


A. Horizontale Vollständigkeit (Der Prozesskatalog)


Wir schaffen zunächst eine horizontale Vollständigkeit, indem wir wirklich alle Prozesse des Unternehmens erfassen.

  • Vollständigkeit: Jede einzelne Tätigkeit im Unternehmen findet sich in dieser Prozessliste wieder.

  • Reduzierter Detailgrad: Wir verzichten bewusst auf einen hohen Detaillierungsgrad. Weniger wichtige Prozesse werden nur als Hauptprozesse aufgenommen, ohne Unterprozesse oder einzelne Schritte zu dokumentieren.

  • Katalog statt Diagramm: Für jeden Eintrag werden nur Basisinformationen erfasst: ein knapper Text zur Beschreibung, einige Attribute (z. B. Prozessverantwortlicher, Häufigkeit, Risiko) und die offizielle Bezeichnung.

Das Ergebnis ist ein vollständiger Prozesskatalog ohne Ablaufdiagramme, der eine umfassende Landkarte der Organisation darstellt.


B. Vertikale Tiefe (BPMN 2.0 bei Bedarf)


Die Tiefe der Dokumentation wird nur dort erzeugt, wo sie zwingend notwendig ist.

  • Projektfokus: Nur im Rahmen konkreter Optimierungs- oder Automatisierungsprojekte werden die betroffenen, komplexen Prozesse detailliert analysiert und mittels BPMN 2.0 Diagrammen beschrieben.

  • Tiefe nach Bedarf: Die Detaillierungstiefe wird exakt auf das Ziel des Projekts zugeschnitten und nicht unnötig erweitert.


Die Verknüpfung: Nomenklatur schafft Ordnung


Die entscheidende Verknüpfung zwischen dem Katalog (Breite/Übersicht) und den Diagrammen (Tiefe/Detail) geschieht über die Namensgleichheit. Der Katalog definiert die offiziellen, verbindlichen Bezeichnungen für alle Prozesse. Dies gewährleistet die Konsistenz und stellt sicher, dass tief modellierte Prozesse stets eindeutig der Gesamtstruktur zugeordnet sind.

Dieser hybride Weg minimiert unnötige Kosten, verhindert die Veralterung der Dokumentation und fokussiert die wertvolle Detailarbeit exakt dorthin, wo der ROI der Prozessoptimierung am größten ist.

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