📜 Der Compliance-Stau: Warum wir einen TÜV-Standard für Auftragsverarbeitung brauchen
- Jörg Kunze
- vor 1 Stunde
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Die Effizienzfalle der individuellen DSGVO-Prüfung
Jede Organisation, die personenbezogene Daten erhebt, speichert oder verarbeitet und dabei einen externen Dienstleister einbezieht, wird zum Verantwortlichen im Sinne der DSGVO und muss umfangreiche Pflichten erfüllen. Die sogenannte Auftragsverarbeitung (AV) löst eine Kaskade von Maßnahmen aus:
Vertragliche Pflicht: Erstellung und Verhandlung eines AV-Vertrags.
Technische und Organisatorische Maßnahmen (TOMs): Detaillierte Prüfung und Sicherstellung der Schutzvorkehrungen beim Dienstleister.
Standortprüfung: Analyse des Speicherorts und ggf. Klärung von Drittlandtransfers (z.B. USA).
Kontroll- und Auditpflicht: Die Verpflichtung des Verantwortlichen, die Einhaltung dieser Maßnahmen regelmäßig zu kontrollieren.
Wenn ein Cloud-Anbieter, SaaS-Dienstleister oder ein spezialisiertes Rechenzentrum Tausende von Kunden hat, wiederholen sich diese Prüfprozesse jedes Mal aufs Neue. Alle Kunden nutzen die Dienstleistung im Wesentlichen mit demselben Zweck, Umfang und denselben Datenkategorien. Diese redundante Compliance-Arbeit ist volkswirtschaftlich ineffizient und bindet unnötig Ressourcen in den Rechts- und Compliance-Abteilungen.
Der Vorschlag: Standardisierte Zertifizierung als Entlastung
Der Kern der Ineffizienz liegt in der fehlenden Standardisierung der Nachweispflicht.
Wäre es nicht kostengünstiger und effizienter, wenn hochfrequent genutzte Dienstleister oder kritische Service-Kategorien (z. B. CRM-Systeme, E-Mail-Marketing-Tools) einmalig und umfassend von einer unabhängigen, anerkannten Stelle (wie z. B. dem TÜV oder einer spezialisierten europäischen Zertifizierungsstelle) geprüft würden?
Wir benötigen einen öffentlich zugänglichen Compliance-Katalog, der folgendes leistet:
✅ 1. Die geprüfte TOM-Matrix (Der "Datenschutz-TÜV")
Die umfangreichen TOMs (z. B. Zugriffskontrolle, Verschlüsselungsstandards, Backup-Verfahren) des Dienstleisters werden einmalig auditiert und die Ergebnisse in einer standardisierten Matrix festgehalten.
Der Vorteil: Der Verantwortliche müsste diese Matrix nicht mehr selbst prüfen oder vom Dienstleister einfordern, sondern könnte sich direkt auf das Zertifikat und die Katalog-Einträge beziehen.
✅ 2. Standard-AV-Vertrag und Drittland-Validierung
Auch der AV-Vertrag und die notwendigen Analysen zu Drittlandtransfers könnten standardisiert und im Katalog vermerkt werden. Sind die Standardvertragsklauseln (SCCs) implementiert? Welche zusätzlichen Maßnahmen wurden getroffen?
Dies würde die juristische Prüfzeit von Wochen auf Minuten reduzieren.
Ein Paradigmenwechsel in der Audit-Pflicht
Ein solcher Zertifizierungskatalog würde die Pflichten des Verantwortlichen radikal verändern – von der Prüfungsarbeit hin zur Abweichungskontrolle:
Status Quo (Individuelle Prüfung) | Zukünftiges Szenario (Katalog-Bezug) |
Prüfung: JEDER Kunde prüft die TOMs des Dienstleisters von Grund auf neu. | Referenzierung: Der Kunde referenziert auf den gültigen Katalog-Eintrag. |
Fokus: Nachweis der technischen Sicherheit. | Fokus: Eigene Nutzungsart und Abweichungen vom Standard. |
Individuelle Pflicht: Umfassendes Audit des Dienstleisters. | Individuelle Pflicht: Prüfung, ob der eigene Anwendungsfall (Zweck, Datenkategorie) im Katalog abgedeckt ist. |
Wann bleibt die individuelle Prüfung notwendig?
Eine individuelle, tiefergehende Prüfung wäre weiterhin nur in zwei Fällen notwendig:
Abweichende Nutzung: Wenn der Verantwortliche die Dienstleistung außerhalb des im Katalog definierten Standardzwecks oder mit besonders sensiblen, nicht abgedeckten Datenkategorien nutzt.
Kleine Anbieter: Bei kleineren Dienstleistern, die aus Kostengründen oder mangelnder Marktrelevanz noch nicht im Katalog gelistet sind.
Fazit: Weg vom Redundanz-Audit
Die DSGVO ist richtig und wichtig, darf aber nicht zu einem Hemmnis für die europäische Volkswirtschaft werden. Wir müssen das Prinzip der Datenschutz-Compliance von einer individuellen Doppelarbeit hin zu einer standardisierten, auditierbaren und öffentlich zugänglichen Nachweisführung entwickeln.
Ein europäischer Compliance-Katalog für Auftragsverarbeitung würde nicht nur immense Kosten einsparen, sondern auch die Markteintrittsbarrieren für innovative Dienstleister senken und die Rechtssicherheit für Tausende von Verantwortlichen massiv erhöhen. Es ist Zeit, die Effizienz der Digitalisierung auch auf die Compliance-Prozesse anzuwenden.
Was denkst du: Ist der politische Wille vorhanden, um diesen Schritt von der individuellen Pflicht zur standardisierten, gemeinsamen Nachweisführung zu gehen?
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